Herr Bürgermeister Kersting
meine Damen und Herren unserer Stadtverwaltung,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
als ich mich an diesem Wochenende wieder an das Schreiben der Haushaltsrede gemacht und mir nochmals das Manuskript aus dem Vorjahr angeschaut habe, war mein erster Gedanke:
Du tauschst einfach ein paar Zahlen und Begriffe aus und trägst die Haushaltsrede aus 2022 noch mal vor. Kaum einer würde es merken. Denn
1. die Rahmenbedingungen, unter denen wir den Haushalt 2023 diskutieren, haben sich nicht verändert.
2. Vieles von dem, was wir für 2022 beantragt haben, müssen wir heute leider wieder ansprechen. Weil sich nichts oder zu wenig getan hat.
Die Welt bewegt sich weiter im Krisenmodus. Im letzten Jahr war es noch die Corona-Pandemie, deren Auswirkungen uns alle massiv beschäftigt hat und von der man glaubte, sie langsam hinter sich lassen zu können. Sie wurde durch die nächste Krise abgelöst: Der Angriffskrieg Russland auf die Ukraine brachte uns eine neue Flüchtlingswelle, führte zu einer Energiekrise und wird uns im kommenden Jahr voraussichtlich eine Rezession bescheren. Und als wäre es nicht schon genug: Schon seit langem sind wir mit einer Klimakatastrophe konfrontiert, die – wenn wir nicht endlich massiv gegensteuern – alles in Schatten stellen wird, was wir an Krisenphänomenen kennen.
Weltweite Krisen in Süßen sichtbar
Auch in Süßen bekommen wir das alles zu sehen, zu hören und zu spüren. Von den immer länger werdenden Schlangen vor unserem Tafelladen, über die Klagen von Handel und Gewerbe und Bürgern über extreme Energiepreise bis zum Hitzesommer: Die großen Krisen der Welt wirken sich unmittelbar auf die Kommunalpolitik aus. Wie nie zuvor fordern sie Verwaltung wie Gemeinderat heraus, verlangen neues Denken und rasches Entscheiden. Und die Krisen der Welt spiegeln sich auch im Haushaltsplan einer Kleinstadt wider, der immer flexibler reagieren muss, weil beispielweise Steuereinnahmen oder Grundstückserlöse ausbleiben, Baumaßnahmen sich verteuern oder neue Aufgaben wie die Flüchtlingsunterbringung hinzukommen. Normalität war gestern.
Gut ist, dass der Katastrophenschutz in Süßen ernstgenommen wird und wir in diesem und in den kommenden Jahren in Sirenenanlagen, Notstrom-Aggregate, Funkgeräte sowie in neue Fahrzeuge und das Gerätehaus der Feuerwehr investieren. Das von uns beantragte und vom TA in diesem Jahr beschlossenen Starkregenmanagement wird den Bürgerinnen und Bürgern helfen, sich und ihre Gebäude vor den Folgen des Klimawandels, vor Extremregenfällen und Hochwasser besser zu schützen.
Schulbau: Millionen für die Bildung
Der Blick in den Haushalt und die Finanzplanung zeigt: Auch ohne Krisen werden die kommenden Jahre zur Belastungsprobe. Das ist vor allem dem Neubau des Schulcampus in der Bizet geschuldet, zu dem in diesem Jahr die Bagger angerollt sind. Mehr als 24 Mio. Euro sind zu stemmen – trotz Fördermitteln zu einem großen Teil über Grundstücksverkäufe und Darlehen. Ja, die Baumaßnahme ist ein Wagnis. Aber wir stehen zu dieser Investition, die lange und nach Prüfung aller Alternativen sorgfältig abgewogen und entschieden wurde.
Die Schülerinnen und Schüler von heute sind die dringend gebrauchten Fachkräfte von morgen. Ihnen beste Rahmenbedingungen zum Lernen zu bieten ist uns wichtig. Dass wir Millionen in moderne Schulräume stecken, aber Lehrkräfte allerorten fehlen und Unterricht nicht wie erforderlich angeboten werden kann, ist ein Armutszeugnis.
Meine Damen und Herren,
um die Schulbaumaßnahme mit finanzieren zu können, wurde auch mit Stimmen unserer Fraktion ein schnellerer Einstieg in den letzten Bauabschnitt der Rabenwiesen V beschlossen. Es ist gut, dass die vorhin beschlossene Änderung des Bebauungsplans unser Anliegen aufgreift und eine verdichtete Bebauung anstrebt. Denn wer kann sich heute noch ein Einfamilienhaus leisten?
Fehlentwicklungen beim Bauen und Wohnen
Für uns sind Entwicklungen im Wohnungsbau der letzten Jahre unbefriedigend. In den letzten Jahren kaum bezahlbarer Wohnraum für breite Bevölkerungskreise entstanden, vom sozialen Wohnungsbau ganz zu schweigen. Mit den aktuellen Krisen, der Zinswende und den anhaltend hohen Grundstücks- und Immobilienpreisen rückt für Normalverdiener der Erwerb von Eigentum immer mehr in weite Ferne. Auch die im Rahmen von Konzeptvergaben projektierten Wohnungen in den Vorderen Hornwiesen werden sich viele der Wohnungssuchenden nicht leisten können. Rund 5.000 Euro pro Quadratmeter kosten auch die Wohnungen, die im Wohngebiet an der Salacher Straße entstehen sollen: Wer soll das bezahlen?
Ein Ärgernis ist, dass Konzepte und Förderungen von Bund und Land fehlen, um das Wohnen für junge Familien wie auch für Ältere mit kleineren Budgets erschwinglich zu machen. Und was tun wir in Süßen dafür?
Seit 2019 und damit seit vier Jahren bitten wir um einen Bericht zu den Vor- und Nachteilen der Gründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft – ohne Erfolg. Bei allem Verständnis für die Arbeitsbelastung im Rathaus: Unsere Geduld ist erschöpft!
Es ist keineswegs so, dass wir in einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft das Allheilmittel für die Lösung der Wohnraummisere sehen. Aber wir müssen in Süßen endlich Alternativen diskutieren, wie wir zumindest auf städtischen Flächen Bauen und Wohnen sozial, gerecht und gemein-wohlorientiert gestalten können. Wir werden weiteren Wohnprojekten wie sie an der Bühlstraße-West und mittelfristig auf dem alten TSV-Areal angedacht sind, nicht zustimmen, wenn sie nicht endlich Menschen mit geringem und mittlerem Ein-kommen in den Blick nehmen.
Mehr Mut beim Klimaschutz
Neue Ansätze sind auch im Verkehr notwendig. Für uns heißt das: Weniger Autoverkehr, Verkehrsberuhigung und mehr Platz und Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer. Seit Herbst 2021 liegt das Radverkehrskonzept des ADFC vor. Wir erwarten, dass wir endlich darüber umfassend diskutieren können und in Punkto Radverkehrsförderung im kommenden Jahr konkrete Schritte sichtbar werden.
Bereits im letzten Jahr ist der Gemeinderat unserem Antrag gefolgt und hat 50.000 Euro bereitgestellt, um das Radfahren vor Ort sicherer und attraktiver zu machen. Der Rückbau der B10, der Kreisverkehr an der Tobelkreuzung und die Neugestaltung der Heidenheimer Straße zwischen Bahnhofstraße und Bühlstraße sind dabei sicher wichtige Bausteine. Darüber hinaus wird uns das Radverkehrskonzept aber viele Einzelmaßnahmen aufzeigen, die sofort umgesetzt werden können. Wir stellen deshalb erneut den Antrag, 50.000 Euro dafür explizit im Haushalt auszuweisen. (Vom Gemeinderat so beschlossen!)
Radverkehrskonzept: Fahrradstraßen wie in Eislingen soll es auch in Süßen geben
Um es deutlich zu sagen: Wir brauchen bei den Haushaltsberatungen keine Anträge mehr zu stellen und Beschlüsse zu fassen, wenn sie von der Verwaltung ignoriert werden. Das werden wir nicht mehr akzeptieren und gegebenenfalls zukünftig dem Haushalt auch unsere Zustimmung verweigern.
Eine Verkehrswende vor Ort, eine Stadt der kurzen und sicheren Wege, die Fußgänger und Radfahrer, Senioren und Kinder in den Blick nimmt, wäre auch ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz. Wir beobachten mit Sorge, dass immer mehr Bäume neuen Gebäuden, Straßen und Parkplätzen weichen müssen. Sie sind jedoch für die Lebensqualität und die klimaschädliche CO2-Bindung unverzichtbar, sie spenden Schatten und Kühle in den immer häufiger auftretenden Hitzesommern. Wir haben beantragt, jährlich zehn Neupflanzungen klimaresistenter Stadtbäume vorzusehen und werden uns gegebenenfalls jeden Monat berichten lassen, wie der Antrag umgesetzt wird. Und wenn das Bauamt nicht genügend Flächen findet, sind wir gerne bei der Suche behilflich. Auch Firmen und private Grundstückseigentümer können für das Projekt „Stadtbäume“ gewonnen werden. (Vom GR so beschlossen!)
Und wenn wir schon beim Thema sind: Wir fordern Sie, Herr Bürgermeister Kersting, nochmals auf, dem Eigentümer der Parkflächen von LIDL und dm eine Frist für die Nachpflanzung der seit Jahren abgestorbenen Bäume zu setzen. Die Stadtverwaltung muss für die Einhaltung der Festsetzungen in Bebauungsplänen sorgen. Punkt!
Volle Kraft bei erneuerbaren Energien
Es ist ein Ärgernis, dass erst ein Krieg kommen muss, um in Deutschland wie auch im beschaulichen Süßen die Energiewende schneller voranzutreiben. Heute haben wir bereits die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen auf den Gebäuden des Schulverbunds und der Bizet-Halle beschlossen. Über eine Million Euro müssen dafür zusätzlich im Haushalt bereitgestellt werden müssen. Das Geld ist gut investiert.
Natürlich müssen weitere öffentliche Gebäude – wo immer möglich – für die Photovoltaik genutzt werden. Die entsprechenden Anträge von Freien Wählern und Grünen unterstützen wir selbstverständlich. Auch Parkflächen wie die beim Hallenbad, dem Rathaus oder der Kulturhalle müssen als Potentialflächen rasch geprüft werden. Photovoltaik-Module über Parkplätzen lohnen sich mehrfach: Darunter stehende Autos bleiben trocken und heizen sich im Sommer nicht auf, ganz nebenbei gewinnen sie über einer sowieso schon versiegelten Fläche erneuerbaren Strom aus der Sonne. (Laut BM Kersting wird die Bürgerenergiegenossenschaft die Photovoltaik-Anlagen über Parkflächen angehen!)
Gewerbebrachen aktivieren
Noch ein paar Worte zur Wirtschaftsförderung – und auch hier sind Wiederholungen aus dem Vorjahr nicht ausgeschlossen. Wir haben in den letzten beiden Jahren sehr intensiv um die Entwicklung von Gewerbeflächen und das Gutachten der imakomm Akademie diskutiert. Es wurde aufgezeigt, dass wir bestehende, zum Teil unter- oder fehlgenutzte Gewerbeflächen aktivieren können, um Flächenbedarfe von Firmen am Ort zu decken. Als SPD-Fraktion haben wir eine Neuordnung und Weiterentwicklung des Gewerbegebiets „Wiesgärten“ (SPD-Antrag vom 08.11.2021) ins Spiel gebracht. Wir sind erstaunt nach wie vor erstaunt, dass sich unsere Debatten in keiner Weise im Haushaltsplan und der Fi-nanzplanung widerspiegelt. Für Voruntersuchungen, Planungsleistungen und ggf. auch Abrissarbeiten sollten wir schon ein paar Euro bereitstellen. (Laut BM Kersting sollen Haushaltsmittel nach Abschluss der Gespräche mit interessierten Firmen eingestellt werden).
Was die Entwicklung des IKG Auen anbetrifft, warten wir gerne und in großer Gelassenheit die Ergebnisse des Scoping-Verfahrens und der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ab. Nur so viel: Dass dieses Gewerbegebiet keinen Sinn macht, erscheint uns auch vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Lage immer mehr plausibel.
Wo bleibt das Positive?
Ich komme zum Schluss und nach all unseren Krisenbeschreibungen und Kritikpunkten zu der schon von Erich Kästner gestellten Frage: Wo bleibt das Positive?
In der großen wie der kleinen Politik ist man dazu verdammt, den Optimismus zu pflegen, jeden Zweifel am eigenen Tun und Handeln auszublenden und den Bürgerinnen und Bürgern beruhigend zu sagen: „Wir schaffen das!“
Angesichts der Dringlichkeit der Aufgaben zu sehen, wie langsam wir zum Beispiel beim Klimaschutz oder der Verkehrspolitik auf allen politischen Ebenen vorankommen, welche Widerstände auch in Süßen zu überwinden sind, habe ich persönlich leider zunehmend Zweifel, ob wir es schaffen werden, die notwendigen Veränderungen zu erreichen.
Aufgeben ist jedoch keine Alternative. Namens der SPD-Fraktion danke ich allen, die sich mit großem Engagement für unserer Stadt einsetzen. Allen, die sich in Schulen und Kindergärten um die Jüngsten, in unseren sozialen Einrichtungen und Kirchen um Ältere, Kranke und Einsame kümmern. Den Gewerbetreibenden, Einzelhändlern und Gastronomen, die sich nicht entmutigen lassen. Den vielen Ehrenamtlichen, die das Vereinsleben am Laufen halten.
Herzlichen Dank an Sie, Herr Bürgermeister Kersting, an die Amtsleiterinnen und Amtsleiter sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stadtverwaltung. Und vielen Dank auch den Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat für die guten Diskussionen. Sie werden weiterhin mit unserer Hartnäckigkeit und Ungeduld rechnen können.
Udo Rössler, Fraktionsvorsitzender