Am 13. Januar 1900 erreichte den Großsüßener Schultheißen Christian Ott folgendes Schreiben:
„Auf Antrag des Sozialdemokratischen Arbeitervereins Süßen, ersuchen wir den hochverehrlichen Gemeinderat Süßen mit der Bitte, er möge beschließen an geeigneten Punkten des Ortes Straßenlaternen anbringen zu lassen. Und wenn es schon beschlossen wäre, dahin zu wirken, dass es in Bälde eingeführt wird“.
Herr Bürgermeister Kersting
meine Damen und Herren unserer Stadtverwaltung,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere politischen Vorfahren, die wenige Jahre nach der Gründung der SPD am 8. März 1896, also vor 125 Jahren, diesen schönen Antrag formuliert haben, hätten sich nicht träumen lassen, dass wir in Süßen heute nicht nur ganz selbstverständlich für Straßenbeleuchtung sorgen. Die Lokalpolitiker, die noch Schulgeld für ihre Kinder zahlen mussten und eine Kanalisation nicht kannten, hätten sich auch die Augen gerieben, dass wir 2021 Millionensummen in neue Kanäle, in Kindertagesstätten und Schulen und die Ortsentwicklung investieren.
Und das inmitten einer Pandemie deren Ende noch nicht absehbar ist und die einmal mehr zeigt, dass unter so vielem Wichtigen Gesundheit das Wichtigste ist.
Für eine Stadt zeigt der Haushaltsplan wie es um ihre Gesundheit und Stabilität bestellt ist. Für die Finanzsituation des Jahres 2021 würden wir „leichtes Fieber“ diagnostizieren. Im Ergebnishaushalt können die Aufwendungen für den laufenden Betrieb durch die Erträge nicht gedeckt werden und schließen mit 1,6 Mio. Euro im Minus. Und im Finanzhaushalt reichen die finanziellen Mittel in den nächsten beiden Jahren bei weitem nicht aus, um die Tilgungen und Investitionsmaßnahmen abzudecken. In den Jahren 2023 und 2024 geht die Fieberkurve jedoch wieder deutlich nach unten. Der Süßener Haushalt schwächelt, aber er ist nicht sterbenskrank wie uns noch vor zwei, drei Jahren weisgemacht wurde.
Von der Haushaltsstrukturkommission, die drastische Sparmaßnahmen beschließen sollte und in die unsere Fraktion zahlreiche Vorschläge eingebracht hat, redet heute niemand mehr.
Wir sind überzeugt, dass wir die von uns unterstützten wichtigsten Investitionen, insbesondere
– den Neubau des Kinderhauses in den Rabenwiesen,
– den Einstieg in den ersten Bauabschnitt zur Sanierung des Schulzentrums in der Bizet und
– die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen in der Ortsmitte
jetzt und in den Folgejahren stemmen können.
Verwaltung und Gemeinderatsfraktionen haben unterschiedliche therapeutische Pläne, wie man dem kränkelnden Patienten „Stadt“ wieder aufhelfen kann. Steuererhöhungen sind sicherlich nicht das Allheilmittel. Aber als Kommune mit einer chronisch unterdurchschnittlichen Steuerkraft sind wir auf Investitionshilfen aus dem Ausgleichsstock angewiesen. Und dafür müssen wir erstmal die eigenen Einnahmequellen ausschöpfen oder – um im Bild zu bleiben – in den eigenen Medikamentenschrank greifen.
Zwei Fraktionen werden nicht müde, darauf hinzuweisen, wie wichtig neue Gewerbegebiete für Gewerbesteuereinnahmen und damit für solide Finanzen sind. Dass gerade sie jetzt eine Anpassung der Sätze an den Durchschnitt der Kommunen in unserem Gemeindeverwaltungsverband reduzieren oder gar ganz aussetzen wollen, ist dann schon etwas unverfroren. So wichtig können dann Gewerbesteuerzahler nicht sein.
Es ist nicht so, dass die Pandemie in allen Branchen für schlechte Geschäfte sorgt. Wenn ich mich nicht irre, ergibt sich Höhe der zu zahlenden Gewerbesteuer aus dem Gewinn des jeweiligen Wirtschaftsjahres. Firmen, denen es schlecht geht, werden deshalb weniger oder gar keine Gewerbesteuer bezahlen. Und bei denen es gut läuft, sollte – wie bisher auch – ein angemessener Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur an ihrem Firmenstandort möglich sein. Und die ist sehr gut und wird mit den angelaufenen Baumaßnahmen in den Rabenwiesen und der Bizet noch besser. Die Fachkräfte von morgen wachsen schon jetzt in unseren Kindergärten und Schulen heran.
Neue Gewerbegebiete nur mit Bürgerbeteiligung
Von den Dutzenden Firmen und Gewerbebetrieben mitten in Süßen, in denen unsere Eltern und Großeltern noch ihr Brot verdienten, sind heute nur wenige übrig geblieben. Auf den ehemaligen Firmenarealen sind Wohnungen oder unsere neuen Hallen entstanden. In den kommenden Jahren werden diese gewerblichen Leerstände und Brachen noch zunehmen. Wir hoffen, dass im März die von uns geforderte Bestandsaufnahme zeigt, welche Entwicklungspotentiale wir dort für Handel, Gewerbe und Dienstleistungen haben. Wir bleiben dabei: Die Zukunft der Gewerbeentwicklung liegt vor allem im Dienstleistungssektor und bei kleinen innovativen Unternehmen mit hoher Wertschöpfung. Und die zieht es nicht in Gewerbegebiete auf der grünen Wiese.
Dem Ausgang des Bürgerentscheids in Donzdorf sehen wir mit Interesse entgegen. Stimmen die Nachbarn dafür, bleiben wir dabei: Der Gewerbepark Lautertal wird behutsam, nachhaltig und mit CO2-neutralen Betrieben – oder gar nicht kommen. Jedenfalls nicht mit uns. Und was das geplante Gewerbegebiet in den Auen angeht, müssen erst alle Fakten auf den Tisch und die Bürgerschaft gehört und beteiligt werden, bevor wir in weitere Diskussionen mit Gingen einsteigen.
Zeit für neue Wohnideen
Dutzende Bewerbungen auf die städtischen Bauplätze in den Rabenwiesen, kaum Bestandsimmobilien und der Mangel an Mietwohnungen zeigen: Wohnraum zu schaffen, ist für Süßen zu einer der drängendsten Aufgaben geworden.
Alle Impulse, dabei auch mal ausgetretene Pfade zu verlassen, sind bislang leider ins Leere gelaufen.
2018 hatten wir angeregt, sich Gedanken zu machen, wie wir die vielen Leerstände bei Wohnimmobilien beseitigen können, 2019 einen Vorschlag in die Haushaltsstrukturkommission eingebracht, wie wir durch eine Lenkungsabgabe ungenutzten Wohnraum aktivieren können. Wir erinnern auch an unsere Anträge zur Förderung von Bauherrengemeinschaften oder zum Mehrgenerationenwohnen.
Sie, Herr Bürgermeister Kersting, hatten in Ihrem Wahlkampf 2018 für eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft geworben. Sehr gerne hätten wir – wie im letzten Jahr beantragt – darüber mit Ihnen und dem Gemeinderat diskutiert. Vorgeschlagen hatten wir auch, uns über das genossenschaftliche Wohnen zu informieren. Wir brauchen endliche eine Debatte und Strategie, wie wir Wohnraum für möglichst viele, zu bezahlbaren Preisen, innovativ und nachhaltig auf immer weniger verfügbarer Fläche schaffen können.
Denn: Zwischen dem Einfamilienhaus auf der grünen Wiese und dem Tiny-Haus auf 30 Quadratmetern, zwischen der überteuerten Eigentumswohnung und der schlichten Sozialwohnung gibt es viele spannende Wohnmodelle. Diese Diskussion über die Zukunft des Wohnens wollen wir jetzt mit Blick auf die möglichen Bauflächen an der Salacher Straße, in den Vorderen Hornwiesen und dann vor allem beim Projekt „Mühlenviertel“ zwischen Kanal und Fils führen.
(Die Berichte wurden von Bürgermeister Kersting für Mitte des Jahres zugesagt!)
Naturschutz stärken
Der Bericht unserer Umweltbeauftragten im Oktober letzten Jahres hat eindrucksvoll gezeigt, wir richtig der interfraktionelle Antrag 2019 war, diese Stelle zu schaffen. Mit ihrem Teilzeitjob von 25-Prozent leistet Frau Krause hervorragende Arbeit. Der Klimawandel ist zur größten Herausforderung auch vor Ort geworden. Aktuelle städtebauliche Entwicklungen und die Notwendigkeit, Natur-, Landschafts- und Artenschutz bei kommunalen Entscheidungen noch stärker mitzudenken, erfordern eine kontinuierliche fachliche Begleitung. Diese Aufgaben sind mit dem bisherigen Stundenkontingent der Umweltschutzbeauftragten nicht zu leisten. Auch im Vergleich zum wachsenden Personaleinsatz in anderen Verwaltungsbereichen der Stadt, ist eine halbe Stelle für den Natur- und Umweltschutz für eine 10.000- Einwohner-Kommune wie Süßen angemessen und notwendig.
Mehr Platz fürs Rad
Auch wenn wir dem einen oder der anderen damit auf die Nerven gehen: Wir bleiben dran, den Radverkehr in Süßen sicherer und attraktiver zu machen. Schon aus Tradition: Schließlich waren es Sozialdemokraten, die vor knapp 100 Jahren im „Reichsadler“ den ersten Radfahrer-Verein Süßens gründeten.
Jetzt im Landtagswahlkampf überbieten sich die Parteien, was sie alles für den Radverkehr tun wollen. Selbst die CDU hat entdeckt, dass das Fahrrad nicht nur in den Städten eine zentrale Rolle in der Mobilität der Zukunft spielen wird. So weit, so gut. Die Weichen für mehr, besseren und sicheren Radverkehr werden aber gar nicht so sehr vom Land, sondern von den Gemeinderäten gestellt. Und da ist bislang in Süßen – außer einigen kosmetischen Verbesserungen – leider nicht allzu viel passiert.
Beim Fahrradklimatest des ADFC 2018 hat Süßen die Note 3,4 erhalten. Eine schlechte Drei und die Tatsache, dass man damit unter den vielen schlechter bewerteten Kommunen im Kreis noch ganz gut abgeschnitten hat, kann für uns nicht der Maßstab sein. Wenn im März die Testergebnisse des Jahres 2020 veröffentlicht werden, wird sich Süßen – so unsere Prognose – kaum verbessert haben.
Es ist ärgerlich, dass Süßen die millionenschweren Förderprogramme des Bundes, deren Nutzung wir bereits 2020 vorgeschlagen hatten, nicht in Anspruch nehmen will. Denn dafür bräuchte man ein Konzept. Wir haben Verständnis für die hohe Auslastung im Bauamt. Aber die Aussicht, dass die Radverkehrsinfrastruktur in unserer Stadt in den nächsten Jahren nicht signifikant besser wird, ist frustrierend.
Deshalb unser Vorschlag, wenigstens ein überschaubares Budget für Sofortmaßnahmen im Haushalt einzustellen. Viel Geld braucht es für Haltegriffe an Ampeln, Aufstellflächen an Kreuzungen oder Randsteinabsenkungen – um nur ein paar Beispiele zu nennen – nicht. Weitere Vorschläge des ADFC liegen der Verwaltung vor, die wir hoffentlich im Sommer bei einer Radtour mit dem Gemeinderat prüfen und dann auch umsetzen werden. Wir bringen uns mit anderen sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern auch gerne in eine Arbeitsgruppe „Radverkehr“ ein. Neben dem Geld im Haushalt, sollte aber auch der Wille bei der Stadtverwaltung erkennbar sein, das umweltfreundlichste Verkehrsmittel vor Ort zu fördern.
(Vom Gemeinderat so beschlossen!)
Ordnung muss sein: Vollzugsdienst stärken
Dazu gehört auch konsequent dagegen vorzugehen, wenn PKWs und LKWs die Sicherheit für Radfahrer*innen gefährden. Mit welcher Dreistigkeit viele Autofahrer Rad- und Fußwege zum Parken und Halten beanspruchen, ist beispielsweise täglich in der Bühlstraße zu beobachten. Aber nicht nur deshalb wollen wir den Vollzugsdienst stärken. Vandalismus, wilde Müllablagerungen und andere Ordnungswidrigkeiten nehmen zu und gerade die Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist Regeln und Verordnungen auch zu überwachen. Gut, dass die Stadtverwaltung nun unsere Anregung aus dem Vorjahr aufgreift, den städtischen Vollzugsdienst so auszuweiten, dass Einsätze auch abends und am Wochenende sowie bei Urlaub oder Krankheit sichergestellt sind.
(Vom Gemeinderat so beschlossen!)
Gerne erinnern wir auch heute nochmals an den Bericht des Ordnungsamts und des Vollzugsbeamten, den wir im letzten Jahr beantragt hatten.
Hoher Einsatz vieler für unsere Stadt
Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Auch wenn es an direkten, persönlichen Kontakten mangelt, am Zusammenhalt in
unserer Stadt fehlt es nicht. Wir bedanken uns herzlich bei allen Bürgerinnen und Bürgern, die ihren Mitmenschen in dieser schweren Zeit zur Seite stehen, sich für sie engagieren: In Vereinen und Organisationen, in Kirchen und sozialen Einrichtungen.
Danke an auch Sie, Herr Bürgermeister Kersting, die Amtsleiterinnen und Amtsleiter sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stadtverwaltung. Wir wissen um die besonderen Herausforderungen, die Sie nicht nur in Pandemie-Zeiten zu meistern haben. Vielen Dank auch den Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat für die guten Diskussionen.
Sie alle bitten wir auch um Verständnis für unsere Hartnäckigkeit und manche Kritik. Wie vor 125 Jahren geht es uns Sozialdemokraten auch heute um ganz praktische Politik, um konkrete Verbesserungen im Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Und so wie wir damals für etwas Licht beim Nachhause gehen sorgen konnten, werden wir auch zukünftig den Scheinwerfer auf die Themen werfen, die die Menschen in unserer Stadt bewegen.
Vielen Dank.